Aus dem Inhalt
Vorwort ...............................................................................................................................................................................7
Geleitwort (Gudrun Thielking-Wagner) ........................................................................................................................... 10
Einleitung (Hanna Lutz-Süchting) ................................................................................................................................... 14
Hintergründe von Hormonmangel-Erkrankungen (Friedrich Douwes†) ......................................................................... 18
Betroffene berichten........................................................................................................................... 41
1 Chronisch erschöpft: Burn-out ..................................................................................................................................... 42
2 Kein Bock auf nichts: Depressionen in jungen Jahren ................................................................................................ 51
3 Wenn der Bauch sich monatlich entzündet: Endometriose .......................................................................................... 57
4 Durchwachte Nächte: Schlafstörungen ........................................................................................................................ 71
5 Aus dem Takt geraten: die Wechseljahre ..................................................................................................................... 78
6 Hormon-out, oder: Leben mit einem Hypophysentumor ............................................................................................. 87
7 Dreißig Jahre gesucht: Morbus Crohn, Migräne und Nasennebenhöhlenentzündung (Andreas Übel)........................ 96
8 Leichtigkeit und Vitalität adé? Gesund altern ............................................................................................................ 107
9 Zwanzig Jahre Suche: Neurodermitis, PMS, Hashimoto und Reizdarm.................................................................... 116
Die bioidentische Hormontherapie – Was ist das?...........................................................................................................158
Ausblick ..........................................................................................................................................................................164
Danksagung ....................................................................................................................................................................166
Anhang ..............................................................................................................................................167
Begriffserklärungen.........................................................................................................................................................168
Therapeut:innen und Ärzt:innen für natürliche Hormontherapie ...................................................................................173
Weiterführende Literatur .................................................................................................................................................174 Stichwortverzeichnis........................................................................................................................................................176
Vorwort
Bei etlichen gesundheitlichen Beschwerden mit ungeklärter Ursache konzentriert sich die medizinische Therapie beispielsweise auf Cortison, Schmerz- und Schlafmedikation, Antidepressiva oder Entzündungshemmer. Ärzt:innen vermuten dahinter häufig psychosomatische Ursachen, und Vorschläge für einen gesünderen Lebensstil folgen. Doch ohne ursächliche Behandlung schreiten die Symptome der Betroffenen weiter voran und manifestieren sich oft sogar zu Erkrankungen. Erst nach langen Umwegen und vergeblichen Therapieversuchen zeigt sich, dass das Hormonsystem aus der Balance geraten ist.
So ist es auch mir ergangen. Als junge Frau waren mir meine Beschwerden unerklärlich und ich begann zu Entzündungen, Erschöpfung, Verdauungsbeschwerden und vielem mehr zu recherchieren. Als meine Symptome Jahre später eskalierten, zeigte sich endlich, worin sie begründet waren: Mir fehlten schlicht Hormone.
Diese Botenstoffe hatte ich bislang nicht mit chronischen Krankheiten, sondern mit Reproduktion und Sexualität in Verbindung gebracht. Ich begriff, dass sie die Grundvoraussetzung für Gesundheit sind, und lernte, welche vielfältigen Aufgaben körpereigene Hormone haben. Aus dem Mangel waren bei mir zahlreiche gesundheitliche Probleme entstanden.
Wie mir ergeht es vielen Menschen. Sie entwickeln beharrliche Symptome oder sogar Erkrankungen, die scheinbar unheilbar sind. Die Gesundheit der Betroffenen gerät völlig aus der Bahn – manchmal sogar ihr ganzes Leben, weil der Mangel an Hormonen unbehandelt bleibt.
Dieses Buch gibt von Hormonmangel Betroffenen eine Stimme. Sie erzählen ihre persönlichen Geschichten und berichten davon, wie sie ihr hormonelles Gleichgewicht wiedergefunden haben. Manche haben von Freundinnen davon erfahren, andere mittels Internet- und Buchrecherche oder zufällig in der Apotheke. Von ihren behandelnden Ärzt:innen erfuhren jedoch nur wenige davon: von der nebenwirkungsarmen Therapie mit bioidentischen Hormonen.
Dr. med. Hanna Lutz-Süchting ist Ärztin und persönlich betroffen. In ihrer Einleitung veranschaulicht sie die Bedeutung von Hormonen für unser Wohlbefinden. Dr. med. Friedrich Douwes († Dezember 2022), langjähriger Experte auf dem Gebiet der natürlichen Hormontherapie, erklärt die medizinischen Hintergründe von Hormonmangel-Erkrankungen und zeigt Möglichkeiten der Diagnostik und einer verträglichen Therapie auf.
Meinen Leser:innen wünsche ich eine inspirierende Lektüre. Möge dieses Buch Sie neugierig auf Ihren eigenen Hormonstatus machen.
Berlin, im Februar 2023 Astrid Müller
Mit den im Buch als natürlich und bioidentisch bezeichneten Hormonen sind solche gemeint, die auf pflanzlicher Basis hergestellt werden, im Wesentlichen auf Basis der tropischen Yamswurzel. In der Literatur werden diese Hormone als bioidentisch, naturidentisch oder natürlich bezeichnet. Sie sind nicht zu verwechseln mit molekular veränderten Hormonen, welche schwere Nebenwirkungen haben.
Alle persönlichen Berichte über Therapien und Anwendungen basieren auf individuellen Erfahrungen der Erzählenden. Somit ist das Buch kein Ersatz für eine medizinische Untersuchung oder Therapie. Eine Behandlung mit natürlichen Hormonen wird von darauf spezialisierten Ärzt:innen und Therapeut:innen verordnet und professionell begleitet.
Die Namen der Erzählenden wurden – sofern gewünscht – anonymisiert. Ähnlichkeiten mit realen Personen sind somit rein zufällig.
Im Anhang sind Begriffserklärungen, Hinweise zu Therapeut:innen/Ärzt:innen für natürliche Hormontherapie sowie weiterführende Literatur und ein Stichwortverzeichnis zu finden. Für die Inhalte und die Vollständigkeit dieser Quellen sind weder der Verlag noch die Autorin verantwortlich.
Geleitwort
Bereits in den 2000ern, als die Therapie mit bioidentischen Hormonen in deutschsprachigen Fachkreisen noch nahezu unbekannt war, recherchierten Betroffene im Internet nach Alternativen zur veralteten, mit schweren Nebenwirkungen verbundenen Hormonersatztherapie. Denn Menschen mit gesundheitlichen Beschwerden suchen nach hilfreichen Informationen und tauschen ihre Erfahrungen mit anderen Betroffenen aus. Bei hormonell bedingten Erkrankungen zeigt sich das besonders deutlich.
Wem Hormone fehlten, der suchte nach einem verträglichen Hormonersatz. Auf die bioidentischen Hormone aufmerksam geworden, trugen Betroffene diese Therapieform an die behandelnden Ärzt:innen heran. So wurde die Kunde von der alternativen Hormontherapie von den Betroffenen, also von Patient:innenseite aus angestoßen. Inzwischen sind immer mehr Menschen im deutschsprachigen Raum vom gesundheitsfördernden Nutzen dieser Therapie überzeugt.
Doch wie erkannten die Betroffenen, dass sich hinter ihren beharrlichen Beschwerden ein Hormonmangel verbarg? Bei welchen Beschwerden und Erkrankungen wirkt die natürliche Hormontherapie und welche Erfahrungen machen die Menschen damit?
In diesem Buch lässt Astrid Müller von Hormonmangel Betroffene sprechen, die ihre Erkrankungen erkannten, wirksam behandelten und damit ihr Leben positiv veränderten. Die Geschichten möchten die Leser:innen motivieren, ihre individuellen Symptome und ihren Hormonstatus unter die Lupe zu nehmen.
Ich beglückwünsche die Autorin zu diesem Buch, das eine wichtige Informations- und sogar Versorgungslücke füllt. Sie hat ihre Fachkenntnisse um persönliches Erfahrungswissen aus ihrer eigenen Erkrankung ergänzt und Letzteres zum Anlass genommen, weiter zu recherchieren. Im Laufe der Jahre erwarb sie bei ihrer Suche eine enorme Expertise zu verschiedensten Behandlungsformen, die sie anderen Menschen zugänglich machte. Ich freue mich sehr, dass dieser Fundus in ein Buch gemündet ist und Astrid Müller diese wichtige Publikation mit Geschichten von und für Menschen mit chronischen Beschwerden durch hormonelle Dysbalancen geschrieben hat. Dem Buch wünsche ich eine weite Verbreitung und allen Leser:innen viel Mut, Kraft und Anregungen für ihre eigene Gesundheit.
Potsdam, im Januar 2023 Gudrun Thielking-Wagner
Einleitung
Hanna Lutz-Süchting
Ich bin Ärztin und praktizierende Diabetologin und war vor einigen Jahren unerwartet von einem schweren Hormonmangel betroffen. In meinem Unterleib hatten sich gutartige Geschwüre entwickelt, die nur mit einer Totaloperation, also mit der Entfernung der Gebärmutter und der Eierstöcke, behandelt werden konnten. Für mich war diese Diagnose ein Schock und mir war bewusst, dass auf den Eingriff schlagartig ein kompletter Hormonentzug folgen würde. Wie sehr mich dieser psychisch und körperlich beeinträchtigen sollte, erfuhr ich erst, als ich es erlebte. Der Hormonmangel warf mich vollkommen aus der Bahn, entfremdete mir meinen Körper und meinen Geist. Mein gesamtes Leben war davon betroffen. Doch die inzwischen als sehr gesund- heitsschädlich bekannte veraltete Hormonersatztherapie kam für mich nicht infrage. Die Alternative war eine hierzulande noch wenig verbreitete natürliche Hormontherapie auf Basis der Yamswurzel. Diese brachte mich langsam und ohne schädliche Nebenwirkungen wieder ins Gleichgewicht.
Meine persönliche Betroffenheit war eine wertvolle Erfahrung für mich und ich wollte mehr über diese Methode der Hormontherapie erfahren. Ich bildete mich zur Therapeutin für natürliche Hormontherapie weiter und behandle seitdem Menschen erfolgreich und nebenwirkungsarm mit bioidentischen Hormonen. In meine Hormonsprechstunde kam eines Tages eine verzweifelte Frau mit Übergewicht und Diabetes, die bereits Insulin spritzen musste. Sie war in die Wechseljahre gekommen und hatte zugenommen, obwohl sie ihre Ernährungsgewohnheiten nicht verändert hatte. Nun war sie auch noch an einer Depression erkrankt.
Bei Frauen mit Diabetes besteht das Risiko, dass sie zusätzlich Depressionen entwickeln. Aufgrund des Hormonrückgangs in den Wechseljahren kann eine Diabetikerin schwermütig werden. Selbst gesunde Frauen entwickeln in dieser Lebensphase vielfältige gesundheitliche Beschwerden, so etwa Herzrhythmusstörungen, die auf einen Hormonmangel zurückzuführen sind.
Früher waren der Frau Medikamente gegen Depressionen verordnet wor- den. Sie hatte diese abgelehnt, denn die Antidepressiva hätten für sie eine noch größere Gewichtszunahme bedeutet. Die geschilderten Symptome und eine Blutuntersuchung wiesen auf ein erhebliches Ungleichgewicht ihrer Hormone hin. Ich riet zu einer Therapie auf Basis bioidentischer Hormone. Tatsächlich verbesserten sich dadurch das Wohlbefinden der Patientin und ihr Gesundheitszustand. Ihre Stimmung hellte sich zunehmend auf und ihre Schwermut verschwand. Sie hatte auch keine weiteren Kilos angesammelt. „Warum ist das so?“, fragte mich die erleichterte Frau. Ich erklärte ihr, dass die Funktion der Hormone im menschlichen Körper weit über die Regulierung der Fruchtbarkeit und Sexualität hinausgeht.
Alle wichtigen Vorgänge im menschlichen Körper werden mithilfe von Hormonen reguliert, wie beispielsweise unsere Körpertemperatur oder die Verdauung, das Wachstum und auch unser Gefühlsleben. Hormone gelangen überwiegend über das Blut an ihren Bestimmungsort im Körper und lösen dort Reaktionen aus. Nehmen wir zum Beispiel bei Hungergefühl Nahrung zu uns oder legen uns bei Müdigkeit schlafen, wird das Bedürfnis befriedigt und wir fühlen uns wieder im Gleichgewicht. Für den reibungslosen Ablauf unserer vielfältigen Körperfunktionen und komplexen Empfindungen ist eine Hormonbalance die Voraussetzung. Tanzt ein Hormon aus der Reihe, geraten das gesamte Hormon-Ensemble und damit unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden ins Wanken. Hormonfehlfunktionen können uns unserer Vitalität berauben und körperliches und psychisches Unwohlsein oder sogar ernste Erkrankungen verursachen. Viele chronische Erkrankungen hängen mit einem Hormonmangel oder einer hormonellen Fehlfunktion zusammen.
Genau dort liegt auch das Problem für die betroffenen Patient:innen: Hormonmangel verursacht sehr viele Beschwerden und bleibt häufig lange Zeit unentdeckt. Nicht selten wird ohne Kenntnis der wahren Ursache behandelt. So werden etwa Psychopharmaka bei Depressionen, Schmerzmittel bei Migräne, Gelenk- und Knochenschmerzen oder Cortison bei Autoimmunerkrankungen verordnet, obwohl den Beschwerden ein Hormonmangel zugrunde liegt.
Wenn lediglich die Symptome therapiert werden und die ursächliche Behebung des Mangels ausbleibt, können ernsthafte Krankheiten entstehen. Angeborener Hormonmangel wird in der Regel gar nicht erkannt und wächst sich im Laufe des Lebens zu mannigfaltigen Symptomen und chronischen Erkrankungen aus.
Den Weg in meine Praxis finden viele Menschen erst nach etlichen Fehldiagnosen mit sogenannten Funktionsstörungen, für die sich keine Ursachen erkennen lassen. Kein Befund kann ihre Beschwerden erklären und in aller Regel werden weder ihre persönliche Befindlichkeit noch ihr Hormonstatus mit in die Diagnostik einbezogen. Lediglich im Extremfall, also bei deutlich eingeschränktem Wohlbefinden eines Menschen, spiegeln die Laborwerte seine fehlende Hormonbalance wider.
Deshalb ist es von großer Wichtigkeit, das Befinden des betroffenen Menschen zu erfragen. Bereits kleinste hormonelle Verschiebungen haben Einfluss auf die körperliche und psychische Balance und können Krankheitsgefühle und Missstimmungen hervorrufen. Schon geringe Gaben von dem naturidentischen Hormon Progesteron beispielsweise können viele Beschwerden deutlich reduzieren oder sie sogar zum Verschwinden bringen. An dieser Stelle sei auch die begleitende Behandlung mit natürlichem Progesteron bei Herzrhythmusstörungen und Autoimmunerkrankungen genannt.
Obwohl eine stetig wachsende Anzahl von Menschen im deutschsprachigen Raum an hormonell bedingten Erkrankungen leidet, ist die innovative natürliche Hormontherapie bisher wenig bekannt. In Ländern wie Frankreich und den USA ist diese Methode bereits etabliert und ihre Wirksamkeit ist mit Studienergebnissen belegt. Hierzulande erfolgt die Entwicklung langsamer, denn die natürliche Hormontherapie wird bis heute mit der veralteten Therapie auf Basis synthetischer Hormone gleichgesetzt. Da die Einnahme von synthetischen Hormonpräparaten ein gesteigertes Risiko für Krebserkrankungen, Schlaganfall oder Herzinfarkt birgt, verordnen einige Ärzt:innen diese nur ungern oder raten generell von einer Hormontherapie ab. Außerdem hat die hormonproduzierende Pharmaindustrie nur geringes Interesse, natürliche Hormone herzustellen. Die Basis, die mexikanische Yamswurzel, ist ein Naturprodukt und somit nicht patentierbar.
Natürliche Hormone weisen keine der oben angeführten Risiken auf. Die vielfältigen Behandlungsmöglichkeiten der natürlichen Hormontherapie gehen weit über die Behandlung sogenannter hormonell bedingter Frauenleiden hinaus. Mittlerweile profitieren auch vermehrt Männer mit Beschwerden wie Depressionen, Hitzewallungen, Erschöpfung oder Schlafstörungen davon.
Seit nunmehr zwanzig Jahren verlangt eine beständig wachsende Zahl von Patient:innen nach einer Behandlung mit dieser verträglichen Methode. Es ist an der Zeit, endlich eine vorurteilsfreie Basis für diese Therapieform zu finden. Nicht zuletzt, weil sie künftig bei der Behandlung von chronischen Erkrankungen eine wesentliche Rolle spielen wird.
Betroffene berichten
Natürlich zurück ins Gleichgewicht
1 Chronisch erschöpft: Burn-out Melanie P.
Eine Woge Frischluft weht mit Melanie P. herein, als sie schnellen Schrittes das Restaurant betritt. Sie trägt farbenfrohe Kleidung: einen leuchtend grünen Rock und hohe Schuhe in der gleichen Farbe; ein oranges Seidentuch flattert um ihren Hals. Sofort macht sie mich unter allen Gästen aus und setzt sich an meinen Tisch. Ein großer, schlanker Hund mit rotem Fell folgt ihr und legt sich ihr dann zu Füßen. Soll das die Frau sein, die bereits bei der Vorstellung, ausgehen zu müssen, ermüdete? Ich bin gespannt und lausche der Geschichte einer chronischen Erschöpfung.
Eigentlich war ich immer sehr lebendig und habe mein Leben genossen. Partylöwin wurde ich genannt, als ich noch jünger war. An den Wochenenden bis morgens um 6 die Nächte durchzumachen war für mich keine Seltenheit. Das änderte sich auch nur wenig, als ich Kinder bekam. Der Schlaf wurde dann unter der Woche nachgeholt. Mein Mann zog immer mit. Ich hatte ihn auf einem Fest kennengelernt. Es war damals schon sehr spät und die meis- ten Gäste lagen bereits dösend auf Sofas und Sesseln herum. Ich tanzte allein und war noch sehr munter, als ein attraktiver junger Mann sich zu mir gesellte. Wir hielten durch bis zum Schluss und gingen dann frühstücken. Seither waren wir nicht mehr getrennt. Später feierten wir mit unseren drei Kindern weiter. Die Kinder schliefen nebenan und wir tanzten an den Wochenenden die Nächte durch, als gäbe es kein Morgen. Ich habe das wohl von meiner Mutter geerbt. Auch sie brauchte nur wenig Schlaf, kam mit vier oder fünf Stunden aus – bei fünf Kindern. Bei ihr hielt sich das bis ins hohe Alter. Bei mir leider nicht. Mir wurde die Nachtschwärmerei irgendwann zu viel.
Ich weiß gar nicht mehr, wann genau es anfing sich zu verändern. Die Kinder waren bereits aus dem Gröbsten raus, nur die jüngste Tochter wohnte noch zu Hause. Unser Hund war gerade wegen Altersschwäche eingeschläfert worden. Meine Tochter hatte sehr an dem Tier gehangen, war mit ihm aufgewachsen. Ohne Hund zu leben kam für sie nicht infrage. Mir fehlte er auch, war er doch dreizehn Jahre mit uns gewesen. Ich hatte ihn sogar ins Büro mitnehmen können, wenn keine Kundentermine anstanden.
Ich wollte keinen neuen Hund, meine Tochter aber unbedingt. Ich muss also etwa Ende vierzig gewesen sein, arbeitete längst wieder Vollzeit. Die Aussicht, ihn allein aufzuziehen und Gassi zu führen, war mir plötzlich zu viel. Ich stellte fest, dass ich die letzte Abendrunde mit dem alten Hund bereits seit geraumer Zeit meinem Mann überlassen hatte. Abends schlief ich dann und wann im Gespräch ein, sogar am Telefon, wenn ich der Geschichte einer Freundin lauschte. Es zog mich sehr früh ins Bett. So ungewöhnlich das auch war, es passierte immer häufiger. Ich schlief länger, an den Wochenenden sehr lange, und doch stand ich morgens müde wieder auf. Offenbar fand ich in der Nacht keine Erholung mehr.
So blieb es ein paar Jahre. Häufige Erkältungen und eigenartiger Unmut kamen hinzu. Es schien, als hätten sich alle Keime auf mein Immunsystem eingeschworen. Kaum war ein Infekt überwunden, rollte die nächste Erkältungswelle über mich hinweg. Schlechte Laune und trübe Gedanken überkamen mich nun häufig. Ich war eigentlich nur noch schlecht drauf. Auch begannen meine Knochen wehzutun, fühlten sich schwer an.
Mein Mann beklagte sich eines Morgens darüber. Ich ließ ihn reden, drängte meine eigene wachsende Sorge beiseite. Noch kam es nicht infrage, diese Veränderungen ernst zu nehmen. Das geht vorüber, dachte ich, das kann noch nicht das Alter sein. Mein Mann ist ein stiller Mensch, der nicht viel spricht. Nun knallte er die Kaffeetasse auf den Tisch, dass das Geschirr klirrte, und es sprudelte förmlich aus ihm heraus. Es fehle ihm, mit mir Dinge zu unternehmen, ja, mit mir reden zu können. Ich schliefe ja ständig ein oder klagte bloß. Wo war die energiegeladene Melanie geblieben, die er vor vielen Jahren kennen- und lieben gelernt hatte? Es stank ihm reichlich. Die Jüngste sei alt genug und wir könnten im Grunde täglich ausgehen, wäre ich nicht so lahm geworden.
Das Wort „lahm“ erreichte mich an diesem frühen Morgen, schnitt tief ein in mein Bewusstsein. Bis jetzt hatte mein Mann keinen Ton gesagt. Hatte stillschweigend alle Veränderungen, die mit mir vorgingen, genauso hingenommen wie sein kontinuierlich zurückweichendes Haar. Ich sagte gar nichts. Auch das war mir zu viel. Schweigend brachten wir das Frühstück hinter uns und flohen dann an unsere Arbeitsplätze.
Dabei blieb auch meine Arbeit nicht von meiner Müdigkeit verschont. Ich, das fleißige Lieschen in allen Gassen, begann, mich durch die einst so anre- genden Arbeitstage zu schleppen. Literweise kippte ich Kaffee in mich hin- ein, bis mein Magen streikte und ich auf grünen Tee umstieg. Wacher wurde ich trotzdem nicht, doch wenigstens drohte ich in den Besprechungen, in denen ich einst Wortführerin war, nicht mehr einzunicken. Ich fürchtete zunehmend die großen Projekte bei der Arbeit. Der Druck, die vielen Dinge, an die als Kundenbetreuerin in einer Hausverwaltung gleichzeitig zu denken sind, wuchsen mir über den Kopf.
Beinahe heimlich gab ich Aufgaben an junge Kolleginnen weiter. Dabei hatte ich immer den Ruf gehabt, nicht gut delegieren zu können und alle Arbeit an mich zu reißen. Meine langjährige Chefin sah darin einen Lerneffekt, für mich war es schlicht eine beschämende Notwendigkeit, die Schuldgefühle in mir auslöste und Befürchtungen schürte, die Kontrolle zu verlieren. Doch ich schaffte es einfach nicht mehr. Die Einkäufe blieben nach der Arbeit unausgepackt in der Küche stehen. Unsere Putzfrau kann sie auch auspacken, dachte ich. Ich musste mich immer öfter hinsetzen. In unsere Altbauwohnung im dritten Stock zu steigen war anstrengend, brachte mich aus der Puste. Ich ertappte mich dabei, sehnsüchtig an einen Fahrstuhl zu denken, während ich schwer atmend die Treppen erklomm. Das Joggen stellte ich gänzlich ein, denn es verursachte Schmerzen in den Gelenken. Zu einem anderen Sport oder zu Gymnastik konnte ich mich nicht aufraffen. Allein der Gedanke, Neues auszuprobieren, war mir zu viel. Die hässliche Szene am Frühstückstisch lag lange zurück. Ich ging nur noch selten aus dem Haus, außer zur Arbeit. Meine Freundschaften pflegte ich auf Sparflamme, und das vollständig am Smartphone und via E-Mail.
Eines Abends lag ich auf dem Sofa und fühlte mich wie gewöhnlich vollkommen erschöpft. Ein langes Pfingstwochenende lag hinter uns, das ich tatsächlich ohne nennenswerte Aktivitäten verlebt hatte. Zwischen mir und meinem Mann war es still geworden. Wir sprachen kaum mehr als das Nötigste miteinander. Umso mehr horchte ich auf, als er seine Frage stellte. Sie brachte einen völlig neuen Aspekt in das gespenstische Schwinden meiner Vitalität. Mir kam endlich in den Sinn, zum Arzt zu gehen, denn mein Mann fragte, ob ich in den Wechseljahren sei.
Meine Gynäkologin machte einen Hormontest. Nein, die Wechseljahre waren es noch nicht. So das Ergebnis. Ich hatte ja auch keine Hitzewallungen. Im Gegenteil: Mir war immer häufiger kalt, eine Art innere Kälte, die mich sogar manchmal mit Wärmflasche auf dem Schoß im Büro sitzen ließ. Die Gynäkologin stellte allerdings in den Raum, dass chronische Erschöpfung im Spiel sei. Und die führe ja auch häufig in die Depression.
Ich kannte diese Vokabeln. Auch im Freundeskreis gab es Betroffene. Doch auf mich angewendet ergaben sie wenig Sinn. Was auch immer mit mir pas- sierte, ich hatte nie die Arbeit so überhöht, dass ich ausbrannte, und meine Familie darunter leiden lassen. Im Gegenteil. Meine Familie hat mir immer wieder Kraft und Zufriedenheit gespendet, ja, mich daran erinnert, wann Feierabend ist. Doch die Verantwortung für die Familie und meine Führungsposition bei der Arbeit stellten eine eindeutige Überforderung dar, so die Ärztin.
Erstaunlich, wie schnell die Etiketten kleben: Ich verließ die Praxis mit der Empfehlung eine Kur zu beantragen, einer Überweisung zum Psychiater und dem guten Rat, ausgiebig zu schlafen und Urlaub zu nehmen. Mein Mann war genauso entgeistert wie ich. In meinem Leben war ich nie ernsthaft krank gewesen und es hatte mich einiges an Überwindung gekostet, lediglich meiner Antriebsschwäche und Müdigkeit wegen zur Ärztin zu gehen (die Stimmungstiefs hatte ich bewusst verschwiegen).
Inzwischen war ich verzweifelt, denn ich schleppte mich bereits sechs lange Jahre erschöpft durchs Leben. Und es wurde schlimmer. Ich versuchte es beim Hausarzt. Alles Klopfen und Horchen sowie die Laborparameter bescheinigten mir vollständige Gesundheit. Auch er riet mir zur Kur. Das kam für mich überhaupt nicht infrage. Ich wollte in keine Klinik und schon gar nicht getrennt von meiner Familie sein. Und ich wollte auch keine Psychotherapie, wie der Psychiater sie mir vorschlug. Auch er hatte seinen Stempel, sein Befund lautete: Depressionen.
Mittlerweile waren meine Vermutungen, es könnte sich um eine vorübergehende Erscheinung handeln, blanker Angst gewichen. Ich schaffte es kaum mehr, einen halben Tag konzentriert zu arbeiten. Mein Gedächtnis ließ massiv nach, ich musste mir alles aufschreiben und peinliche Nachfragen bei den Kolleg:innen stellen. Ich konnte nicht mehr anders als meine tägliche Arbeitszeit auf vier Stunden zu verkürzen. Doch im Betrieb kam das gut an. Als Mutter dreier Kinder sollte ich mir mal eine Atempause gönnen und kürzertreten. Meine kinderlose Chefin war begeistert. Im Haushalt machte ich keinen Handgriff mehr. Mir tat ohnehin alles weh und ich legte mich nach der Arbeit auf das Sofa. Die Einkäufe erledigten mein Mann und meine Tochter. Ich mochte mit niemandem mehr sprechen, kapselte mich ab. Es war einfach alles zu viel. Nachts ergriff mich Panik. Der Schlaf, in dem ich mich nicht erholte, begann durchbrochen zu werden. Oft lag ich stundenlang wach und fantasierte darüber, dass mein Mann mich verließ, ich meinen Job verlor und die Kinder sich von mir, der kränkelnden Mutter, abwandten – ein Horrorszenario. Am nächs- ten Morgen war ich wie zerschlagen. Was sollte nur werden? Und dann nahm ich auch noch zu. Aus heiterem Himmel wurde ich, die immer Schlanke, dick.
Meine Verzweiflung trieb mich mit dunklen Ringen unter den Augen zu einer Heilpraktikerin. Eine Freundin hatte sie mir empfohlen. Die Frau war selbst chronisch krank geworden und hatte erst mit Naturheilverfahren wieder zu Kräften gefunden. Bei jedem Termin hagelte es Befunde. Die Leber, ja die gesamte Verdauung war mangelhaft. Rätselhafte Lebensmittelunverträglichkeiten und Infektionen mit fremdartigen Keimen wurden mir bescheinigt. Und natürlich die chronische Erschöpfung.
Ich schluckte alles, im wahrsten Sinn, nahm alle Tropfen und Kräuter ein, machte erste Bekanntschaft mit Akupunktur und Homöopathie, reinigte meinen Darm mittels sogenannter Ausleitungen und stellte meine Ernährung gemäß den Wünschen meiner Therapeutin um.
Wenig später kam ich gar nicht mehr aus dem Bett, geschweige denn auf die Beine. Mein Verdauungssystem stellte seinen Betrieb ein und nahm ihn dann übereifrig wieder auf. Erstverschlimmerung nannte sich dieses Phänomen und verschwand zum Glück wieder. Zu Kräften kam ich durch die Anwendungen zwar nicht, doch ich nahm wieder ab.
Ich hatte viel Zeit für den Kauf und die Zubereitung der Lebensmittel für meine Diät aufgewendet. So wurde mein Interesse an alternativen Heilverfahren geweckt. Denn bei meiner Heilpraktikerin wurde ich als ganzer Mensch betrachtet, nicht nur als Produzentin der aus meinen Körperflüssigkeiten abgeleiteten Testergebnisse und Zahlen. Hier versteckten sich keine Ärzt:innen hinter Bildern, die Maschinen gemacht hatten, oder rätselhaften Kurven, die diese aufzeichneten. Ich ging gerne zu ihr. Es beschlich mich dort auch kein unangenehmes Gefühl, falsch gelebt zu haben und deshalb krank zu sein. Die Heilpraktikerin sprach oft von der Balance der Kräfte in uns und altem Heilwissen, um das im Grunde jeder Mensch wisse. Der Gedanke, eine kleine Heilerin in mir zu tragen, gefiel mir. Ja, er machte mir Mut.
Und so begann ich aller Müdigkeit zum Trotz wieder ein bisschen Sport zu treiben. Nordic Walking war eine sanfte, meine Gelenke schonende Art, meinen Stoffwechsel durch Bewegung anzuregen. Anfangs empfand ich es als albern, mit den Stöcken durch die Luft fuchtelnd durch den Park zu latschen. Früher hatte ich auf meinen Hunderunden die Walker:innen immer belächelt. Nun walkte ich also selbst. Und tatsächlich fühlte ich mich nach einem Walk zumindest kurzzeitig erfrischt. Danach war ich wieder völlig erledigt, doch für kurze Zeit verspürte ich etwas wie Wohlbefinden und Hoffnung. Eine Hoffnung, dass ich es irgendwie doch noch schaffen würde, wieder vitaler zu werden.
Mein Mann beäugte meinen sportlichen Neuanfang argwöhnisch. Wenn ich mich für einen Walk rüstete und zu den Stöcken griff, lehnte er unter Vorwänden ab, mich zu begleiten. Doch ich wusste, im Grunde begrüßte er jede noch so kleine Aktivität, der ich mich stellte, und wertete sie als Zeichen meiner Rückkehr in ein normales Leben.
An einem kalten Wintertag, eine geraume Zeit später, ging ich zur Apotheke. Ich schlich durch die dunklen Gassen des trostlosen Februarnachmittags, um meine bestellten Kräutertinkturen abzuholen. Inzwischen war ich mehr als fünfzehn Monate bei der Heilpraktikerin in Behandlung und doch von einem Durchbruch noch weit entfernt. Mein Darm war wohl sauber, die Leber gereinigt und diverse Lebensmittelunverträglichkeiten waren verschwunden. Meine Gelenke waren weniger steif und die Schmerzen gingen zurück. Doch die Kräfte kehrten einfach nicht zurück. Morgens starrte mir weiterhin ein blasses Gesicht mit tiefen Augenringen entgegen. Der Schlaf blieb dünn und wenig erholsam. Ich kam weiter regelmäßig müde und erschöpft von Urlaubsreisen zurück. Ich sollte und wollte Geduld haben, doch so langsam ging sie mir aus. Wie lange sollte diese Therapie noch dauern?
Vor mir stand eine klagende Kundin an der Kasse. Sie beschwerte sich, denn in dieser Apotheke waren keine „natürlichen“ Hormone zu bekommen. Die Apothekerin verstand offenbar nicht, wovon die Frau sprach, und so erfuhr ich von der bereitwillig erklärenden Kundin, dass es Hormontherapeutika auf pflanzlicher Basis gibt, die den Stoffwechsel anregen, das Gemüt aufhellen und chronischer Erschöpfung entgegenwirken.
Augenblicklich begannen die Worte der Frau in meinen Ohren zu klingeln. Ich war neugierig und sprach die Kundin an. Sie war selbst chronisch krank und hatte vieles ausprobiert. Sie wirkte sehr vital und war so überzeugt von ihrer Therapie, dass ich regelrecht neidisch wurde. Ich wollte mich auch endlich besser fühlen. Die Suche nach Heilung strengt an, das Bangen und Hoffen auch. Bereitwillig nannte mir die Frau Namen und Anschrift ihres Hormontherapeuten. Noch am selben Tag vereinbarte ich einen Termin bei ihm. Im Vorgespräch stand möglicher Hormonmangel im Raum und ich ließ einen Hormontest machen.
Der Hormontest brachte ein niederschmetterndes Ergebnis zutage: Ich hatte von allem zu wenig. Selbst jene Hormone, von denen ich noch nie gehört hatte, die aber in meinem wie im Körper aller Menschen reichlich vorhanden sein sollten, hatten sich rargemacht. Während ich bei der Befundbesprechung in Tränen ausbrach, schien sich der Hormontherapeut zu freuen: „Frau P., dieser Befund ist eindeutig. Sie können sprichwörtlich nur noch aus dem letzten Loch pfeifen. Um wieder trillern zu können, brauchen Sie Hor- mone. Wir kriegen das hin!“
Wenig später begann ich eine Therapie mit natürlichen Hormonen und hormonell wirkenden Homöopathika. Die Gelenkschmerzen verschwanden sofort. Anfangs war ich misstrauisch. Würde diese Schmerzfreiheit andauern? Doch auch mein Schlaf wurde erholsamer und schließlich gab es auch kein nächtliches Aufwachen mehr. Langsam kam ich wieder zu Kräften und war erst neutraler und dann sogar positiver Stimmung. Es dauerte etwa ein Jahr, bis sich mein Hormonhaushalt wieder stabilisiert hatte.
Das ist nun acht Jahre her. Mittlerweile bin ich tatsächlich in den Wechseljahren. Ich jogge wieder – mit unserem jungen Hund. Vier Stunden Arbeit, der Haushalt und der Hund reichen völlig, um mich auszulasten. Ich habe wieder Lust auf den Tag, wenn er beginnt, und die Arbeit macht mir Freude. Miese Tage gibt es auch, das gehört ja zum Leben. Das Sofa im Wohnzimmer nehme ich abends auch wieder in Beschlag, falls es sich mein Mann und der Hund dort nicht schon gemütlich gemacht haben. Wir gehen wieder aus, wenn auch meistens am Wochenende. Die natürlichen Hormone gleichen bei mir das aus, was ins Ungleichgewicht geraten ist. Doch sie drehen die Uhr nicht zurück. Die Zeit, die Nächte durchzutanzen, ist vorbei. Ich werde älter und spüre es deutlich, in jeder Pore und in allen Knochen.
Aber krank bin ich nicht mehr.
Lust auf weitere Geschichten von Betroffenen und mehr medizinische Hintergründe?
Lies mehr in Hormonchaos Viele Symptome eine Ursache
mit Beiträgen von
Dr. med. Friedrich Douwes†, Dr. med. Hanna Süchting, Dr. med. dent. Andreas Übel
ISBN 978-3-99002-159-0